Pseudomonas

Von Risiken und Nebenwirkungen

Unser Sohn Urs wurde im März 1990 geboren – und aufgrund eines Neugeborenen-Screenings sofort diagnostiert. Wir hatten noch nie etwas von Mukoviszdiose gehört und damals gab es noch kein WWW-Internet. „Bitte schauen Sie NICHT in Ihr Gesundheitslexikon“, riet uns unsere Kinderärztin, „Sie würden vieles lesen, was Sie erschreckt, Vieles, was SO nicht mehr gilt… Man kann heute viel für Mukoviszidose-Kranke tun…“. In langen Gesprächen mit dem Leiter der Mukoviszidose-Ambulanz erfuhren wir nach und nach, was die Krankheit für unser Kind und uns bedeuten würde und wir hörten zum ersten Mal vom Problemkeim Pseudomonas.

Hochkalorische Ernährung, Krankengymnastik, Medikamentengabe und Inhalation – das alles gab uns das Gefühl, etwas TUN zu können, nicht hilflos die Mukoviszidose erleben zu müssen, wir sahen eine Chance und waren entschlossen, sie zu nutzen. Wir kamen ganz gut zurecht mit unserer Aufgabe – das Kind gedieh und seine Entwicklung verlief altersgerecht.

Das Kind „in Watte gepackt“

Nur das Thema Pseudomonas hing wie ein Damokles-Schwert über mir. Allüberall sah ich die Gefahren: Küche, Bad, Toilette, Garten, Sandkasten, Zimmerpflanzen, der feuchte Keller, unsere Wohnlage direkt am Fluss … Angefangen vom Dampfbügeleisen bis hin zum Spaziergang im Nebel, immer grauste mir vor dem Gedanken, dass das Kind sich vielleicht gerade jetzt einen Pseudomonas zugezogen haben könnte, und das nur, weil ich nicht richtig aufgepasst hatte. Und je mobiler unser Kind wurde, desto schlimmer – jedes Kleinkind ist hochinteressiert am Spiel mit dem Wasser, (fast) jedes Kleinkind wühlt auch mal in der Toilette, liebt Pfützen und lässt sich den Sand aus dem Sandkasten schmecken… Unser Mukoviszidose-Kind musste den Eindruck haben, dass alles, was Spaß machte, verboten war – und ich wurde schier verrückt bei dem Versuch, möglichst alle Gefahren von ihm fernzuhalten. Hinzu kam noch, dass meine sozialen Kontakte weniger wurden, weil die meisten meiner Freund/innen selbst Kleinkinder hatten, die naturgemäß ständig „krank“ waren – ich hatte alle um Verständnis gebeten, dass wir uns nur treffen könnten, wenn keine Ansteckungsgefahr bestand, da für Muko-Kinder jede Erkältung eine Gefahr darstellte (so glaubte ich jedenfalls).

Eine stressige Zeit, obwohl gesundheitlich alles gut lief.

Schließlich (Urs war mittlerweile schon 4 Jahre alt) entdeckten wir, dass unsere immer sorgfältig mit Fön getrockneten Inhalationsköpfe manchmal noch einen letzten, unsichtbaren Tropfen Wasser enthielten. Erst jetzt lernten wir, dass alle Düsen der Inhalationsköpfe nach Reinigung mit dem Luftschlauch des Inhalationskompressors durchgepustet werden müssen, um dann erst gefönt oder im Umluft-Herd getrocknet zu werden. Ein Riesenschock! Hatten wir doch unser Kind jahrelang mit nur scheinbar trockenen Geräten inhalieren lassen.

Die „zweite Diagnose“

Kurz dananch enthielt der Rachenabstrich zum ersten Mal den gefürchteten Pseudomonas. Ich erinnere mich gut, dass diese Information wie eine zweite Diagnose auf mich wirkte. War unser ganzer Kampf umsonst? Was bedeutete das Auftreten des Pseudomonas für uns? Hieß das, dass die Krankheit unaufhaltsam noch mehr Platz in unserem Leben einnehmen würde? Würde das Kind jetzt ständig zu IV-Therapien im Krankenhaus sein (damals war home-IV noch nicht „in“), würden jetzt die gefürchteten Lungenentzündungen anfangen? Und woher kam der Keim? Wir hatten doch überall aufgepasst! Waren es unsere falsch getrockneten Inhalationsgeräte, die nicht rechtzeitig verbannten Seifenblasen, oder, oder, oder …? Ich fühlte mich verantwortlich und wusste dennoch nicht, wo ich ansetzten müsste, um zukünftig etwas zu ändern.

Nach einer IV-Therapie im Krankenhaus (bei diesem Aufenthalt haben wir uns natürlich sehr bemüht, uns keine weiteren Pseudomonaden zuzuziehen) war der Pseudomonas nicht mehr nachweisbar.

Erkenntnisse, die weiterführen

Für mich brachte dieses erste Auftreten des Pseudomonas und seine erfolgreiche Bekämpfung das langsame Akzeptieren eines vorher nur theoretisch vorhandenen Wissens: Wir können als Eltern nicht alles tun, um unser Kind zu beschützen – wir können es nicht in eine „Glasglocke“ setzen. Wir sollten versuchen, so viel Normalität wie möglich einkehren zu lassen. Der Pseudomonas-Stress fiel von mir ab, ich wurde allmählich wieder lockerer. Mir wurde immer klarer, daß Faktoren, die wir nicht kennen, eine große Rolle spielen für den Verlauf der Krankheit. Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Mir half die persönliche Erfahrung, daß der Pseudomonas bekämpft, wenn auch vielleicht nicht ganz ausgelöscht werden kann. Ich bekam Zuversicht, dass auch mit Pseudomonas der Verlauf der Krankheit nicht kurzfristig schlechter werden muss.

Kurz nach der IV-Therapie hab ich mich zu ersten Mal mit Urs in ein Schwimmbad gewagt. Ich schickte ihn danach auch regelmäßig in den Kindergarten und ließ ihn zu Kindergeburtstagen. Und ich machte die erstaunliche Erfahrung, dass unser Kind sich so gut wie keine der im Kindergarten umgehenden Krankheiten zuzog (wobei man dazusagen muss, dass wir alle empfohlenen Impfungen durchführen ließen/lassen und Antibiotika-Dauertherapie durchführ(t)en). Und wir trafen uns wieder mit Familien mit manchmal nicht ganz infektfreien Kindern – eine Konsequenz aus Erfahrungen mit dem Kindergartenbesuch, die für uns alle sehr positiv war.

Information geben, Angst nehmen

Wir wurden insgesamt sicherer, zuversichtlicher, „normaler“ – und ich bin überzeugt, dass unsere gewachsene Zuversicht auch für die positive, angstfreie Einstellung des Kindes von großer Bedeutung ist. Wir haben ihm seine Fragen zur Mukoviszidose immer nach bestem Wissen kindgerecht beantwortet und ihm auch von unseren Sorgen erzählt. Wir haben ihm erklärt, weshalb er seine Medikamente nehmen muss, und warum wir nicht möchten, dass er in Pfützen spielt.

So wie er gelernt hat, dass er seine Enzyme zum Essen nehmen muss, hat er auch gelernt, die gröbsten Risiken im Umgang mit Pseudomonaden zu umgehen. Mit 5 Jahren konnte ich ihn guten Gewissens alleine zur Toilette gehen lassen, denn ich wusste, er würde den Deckel vor dem Abspülen schließen. Das Händewaschen tätigten wir anfangs mit Stopfen im Becken, um nicht die aus dem Siphon aufsteigenden Pseudomonaden zu inhalieren. Dieses Vorgehen allerdings erwies sich als alltagsuntauglich, nur im Klinikbereich hält er es noch so.

Fast ein Kind wie jedes andere

Überhaupt ist die Frage interessant, inwieweit Pseudomonas-Vorbeugung alltagstauglich ist: Ein Kleinkind nicht zu duschen, stattdessen zu waschen oder baden, ist vielleicht noch machbar, aber ab dem Schulalter gibt es einfach keine brauchbare Alternative mehr. Zähneputzen mit vorher getrockneter Zahnbürste dagegen ist bei uns Routine (im Winter legen wir sie auf die Heizung, im Sommer haben wir eine zweite Bürste bereitliegen). Keine Frage auch, daß die Inhalationsköpfe jetzt trocken sind und auch der Schlauch des Inhaliergerätes vor Gebrauch „durchgepustet“ wird. Den Soda-Streamer haben wir, nachdem bekannt wurde, dass er Pseudomonas-Gefahren birgt, wieder abgeschafft. Andererseits ist es für mich O.K., wenn außer Haus schon mal Sprudel aus dem Streamer getrunken wird – ich schätze die Gefahr nicht als sehr groß ein (Studien darüber gibt es meines Wissens nicht), nur möchten wir zuhause keine zusätzliche „Falle“ stehen haben.

Mein Ergo: Alle Präventions-Maßnahmen, die einfach durchgehalten werden können und/oder unabdingbar sind, werden in den Alltag integriert. Maßnahmen, die viel Mühe machen, aber keine klaren, erkennbaren Vorteile bieten, setzen wir aus.

Lernen, loslassen zu können

Heute ist Urs 11 Jahre alt und hat keine weitere IV-Therapie seither machen müssen. Bei Nachweis von Pseudomonaden konnte er erfolgreich mit oralen Antibiotika behandelt werden. Er hat gelernt, die wichtigsten Pseudomonasfallen zu sehen und zu umgehen. Demnächst z.B. steht ein Ausflug ins Schullandheim an. Als besonders reizvoll schilderte die Lehrerin den kleinen Bach in unmittelbarer Nähe, in dem die Kinder Staudämme bauen könnten etc. Urs kam nach Hause und fragte, ob er da wohl mitmachen dürfe. Wir entschieden, dass er mitfährt, dass er auch in dem kleinen Bach spielen darf, denn die Freude am Spiel und das soziale Ereignis sind bestimmt wichtiger als das nur vielleicht vorhandene Risiko und seine Nebenwirkungen…

Urs war glücklich und erklärte mir ernsthaft: „Im Zweifelsfall gibt’s ja Ciprobay…“.

S.P.

Wenn Sie Fragen zu diesem Erfahrungsbericht haben, dann schreiben Sie uns gerne. Wir werden Ihre Mail der Autorin/dem Autor weiterleiten.


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